Assassin's Creed III: Liberation - Stiftung Digitale Spielekultur (2024)

Erinnerungskulturelle Einordnung

Veröffentlicht am:

Autor: Felix Zimmermann

Felix Zimmermann forscht zu Digitalen Spielen als Teil erlebnisorientierter Geschichtskulturen sowie zum atmosphärischen und erinnerungskulturellen Potential des Mediums.

Die Assassin’s Creed-Reihe wird seit 2007 nahezu jährlich mit neuen Ablegern bedacht. An vielfältigen Schauplätzen und in je unterschiedlichen Zeiträumen wird eine fiktive Erzählung um einen bis in die Gegenwart anhaltenden Konflikt zwischen den Geheimbünden der Assassinen und der Templer weitergesponnen. Assassin’s Creed Liberation erschien ursprünglich für die Mobil-Konsole PlayStation Vita, ist mittlerweile allerdings in Form von Neuauflagen für verschiedene Geräte erhältlich. Es ist spielmechanisch und inhaltlich direkt mit Assassin’s Creed III verbunden, bearbeitet also nordamerikanische Geschichte des 18. Jahrhunderts. Konkret greift Liberation den Siebenjährigen Krieg zwischen den Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich auf, indem es Spieler*innen in Machtkämpfe der Kolonialmächte, darunter auch Spanien, um Louisina und speziell New Orleans eingreifen lässt. Darüber hinaus ist der Protagonistin des Spiels, Assassinin Aveline de Grandpré, daran gelegen, Sklav*innen in New Orleans und im umliegenden Bayou zu befreien. Wie für die Spielereihe typisch, können diese Ziele erreicht werden, indem Spieler*innen Gebäude parkourähnlich erklettern und Feinde im offenen Kampf oder unentdeckt bezwingen.

Erinnerungskulturelle Bedeutung

In Liberation können erstmals die Geschicke einer weiblichen Assassinin gesteuert werden. Zuvor waren Frauen in der Reihe nur als Nebencharaktere aufgetreten. Als besonders beachtenswert für die erinnerungskulturelle Bedeutung des Spiels erweist sich außerdem, dass Protagonistin Aveline de Grandpré als „Free Woman of Color“ stellvertretend für eine realhistorische Gesellschaftsgruppe („Free People of Color“, frnz. „gens de couleur libres“) gelesen werden kann, die unter französischer bzw. spanischer Kolonialherrschaft in Louisiana aufgrund ihrer Herkunft einen besonderen rechtlichen und sozialen Status inne hatte. Als Tochter des französischen Händlers Philippe de Grandpré und der afrikanischen Sklavin Jeanne ist Aveline von gemischter Herkunft („mixed ancestry“ bzw. „mixed race“), wird allerdings von Macht und Wohlstand ihres Vaters beschützt und muss deshalb selbst kein Leben als Sklavin führen. Dennoch verbleibt sie in einem rechtlichen und sozialen Schwebezustand zwischen Herrschenden und Beherrschten.

Im Kontext der Spielereihe sticht Liberation somit wegen seiner Betonung der historischen Zugriffe „Gender“ und „Race“ hervor. Es liegt nahe, dass Ubisoft das Wagnis mit einer solchen Protagonistin, die mit der bisherigen Serientradition brach, auch deswegen einging, weil Liberation wegen seiner ursprünglichen PlayStation Vita-Exklusivität nur für ein recht kleines Publikum vorgesehen war.

Diskussionspunkte

Nicht zuletzt weil Liberation ursprünglich nur für die PlayStation Vita erschien, erhielt es trotz seiner Protagonistin verhältnismäßig wenig Beachtung. Generell gilt Liberation als einer der schwächsten Teile der Reihe, da zur Umsetzung des Spiels auf der recht leistungsschwachen PlayStation Vita Kompromisse bei Spielmechanik, Grafik und Story eingegangen werden mussten. Oft übersehen wird dabei, dass gleichzeitig eine ebenfalls bisher nicht in der Spielereihe vertretene Verkleidungsmechanik hinzugefügt wurde, die die sowieso schon hervorstechende erinnerungskulturelle Bedeutung des Spiels noch unterstreicht. Aveline ist im Spiel in der Lage, in Umkleidekammern zwischen drei Verkleidungen bzw. „Personas“ zu wechseln: „Dame“, „Sklavin“ und „Assassine“. Diese Verkleidungen sind spielmechanisch relevant, weil sie bestimmte Fähigkeiten mit sich bringen und Zugang zu bestimmten Gebieten erlauben. Erinnerungskulturelle Schlagkraft erhält die Verkleidungsmechanik, wenn man sie mit der Rolle von Aveline als Free Woman of Color in Verbindung setzt. Jede Verkleidung ist mit spezifischen gesellschaftlichen Zwängen oder Freiheiten verbunden, wodurch sich die fluiden Handlungsräume der Free Woman of Color Aveline im Akt des Spielens entfalten. Die Assassinen-Persona wiederum bricht bewusst mit dem Historischen und steht sinnbildlich für die Befreiung – die Liberation – von Aveline aus den gesellschaftlichen Zwängen.

Einsatzmöglichkeiten

Assassin’s Creed Liberation bietet sich an, um sich der Thematik nordamerikanischer Sklavereipraxis im 18. Jahrhundert anzunähern. Besonders eröffnet es dabei den Blick auf die historische Rolle der Free People of Color in den nordamerikanischen Kolonien unter französischer und spanischer Herrschaft.

Außerdem sticht es als Paradebeispiel für eine performative Aneignung von Geschichte mit Hilfe digitaler Spiele hervor. Erst durch den Einsatz der Spieler*innen, die Möglichkeiten und Einschränkungen der Kostüme im Rahmen der Verkleidungsmechanik erfahren, werden Geschichtsbilder generiert. Spielende sind zugleich Konsumierende und Produzierende von Geschichte und erleben, wie Kleidung und sozialer Status miteinander verwoben waren und sind. Dieses Potenzial digitaler Spiele, über Geschichte als Setting hinauszugehen und stattdessen aus Geschichte Spielmechaniken zu formen, kann anhand von Liberation nachvollzogen und thematisiert werden.

Ehemals als Spiel für eine mobile Konsole erdacht, zählt Liberation mit ca. acht Stunden Spielzeit zu den kürzesten Spielen der Reihe und ist daher am ehesten noch in Gänze zu bearbeiten. Die Verkleidungsmechanik wird allerdings auch schon sehr früh im Spiel eingeführt, sodass ein vollständiges Durchspielen nicht zwingend notwendig ist, um das Spiel erinnerungskulturell einordnen zu können. Als Teil von Assassin’s Creed III Remastered (2019) ist das Spiel außerdem mittlerweile auch für neuere Konsolen erhältlich.

Weiterführendes Material

  • Fishbune, Stephen J. „’Competent, Capable, and Practically Dressed‘: The Representation of Women in the Assassin’s Creed Series.“ Midwest Journal of Undergraduate Research 9 (2018), 18-36.
  • Gilbert, Lisa. „’Assassin’s Creed reminds us that history is human experience‘: Students’ senses of empathy while playing a narrative video game.“ Theory & Research in Social Education 47, no. 1, 108-137.
  • Murray, Soraya. On Video Games. The Visual Politics of Race, Gender and Space. London: Bloomsbury, 2019, 47-87.
  • Schwarz, Angela. „’Join us in making history‘. Muster von Geschichtsinszenierung im Computerspiel.“ In Zugänge zur Public History. Formate – Orte – Inszenierungsformen, herausgegeben von Frauke Geyken und Michael Sauer, 41-61. Berlin: Wochenschau Verlag, 2019.
  • Zimmermann, Felix. „Wandeln zwischen den Welten – Verkleidung als Akt der Befreiung in Assassin’s Creed: Liberation.“ gespielt. Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (Blog), 12.10.2016
  • Zimmermann, Felix. „Wandering between worlds – Disguise as an act of liberation in Assassin’s Creed: Liberation.“ The Ontological Geek (Blog), 12.01.2017

Zitierempfehlung

Zimmermann, Felix. „Assassin’s Creed Liberation“. Datenbank Games in der Erinnerungskultur. Stiftung Digitale Spielekultur, 24.06.2021. [URL], zuletzt aufgerufen am: [Datum]

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